Familien sind vielfältig. Diese Vielfalt bringen sie auch mit in die Kinder- und Familienzentren. Wie gehen Erzieher:innen damit um? Wie funktioniert der Ansatz der vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung in der Praxis? Die Pädagogin Sandra Hörner* geht dieser Frage nach. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist: Kinder brauchen Fachkräfte, die sich immer wieder ihren eigenen Hintergrund bewusst machen, vor allem auch die Auswirkungen auf das eigene pädagogische Handeln.

„Vielfalt respektieren, Ausgrenzung widerstehen.“

Ein Kind steht allein an einer belebten Straße, bekleidet mit einem rosa Mantel, Rock und Strumpfhose. Die Kleidung ist sauber, die Haare sind gekämmt. Viele Passanten halten an und kümmern sich um das Kind. Gleicher Ort, nur diesmal ist die Kleidung des Kindes ein ausgewaschener Jogginganzug, die Haare leicht verfilzt, auf dem Kopf trägt es eine löchrige Wollmütze. Diesmal gehen die meisten Menschen einfach vorbei, scheinbar niemand kümmert sich um das Kind.

 

Verschiedene Blätter
Bild: Markus Spiske (Unsplash)

Kinder leben in sehr unterschiedlichen Verhältnissen

Das Kind ist Schauspielerin und Teil eines Experiments, aus dem ein Film von UNICEF entstand. Auf einem Netzwerktreffen der am Landesförderprogramm teilnehmenden Einrichtungen zeigte die Referentin Sandra Hörner den Teilnehmer:innen diesen Film, um mit ihnen über vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung in Kindertageseinrichtungen, Kinder- und Familienzentren sowie Schulen ins Gespräch zu kommen.

Grundsätzlich haben alle Kinder das Recht auf Bildung und darauf, nicht diskriminiert zu werden. Dafür gibt es gesetzliche Grundlagen. Wenn wir uns aber den Alltag anschauen, leben Kinder in sehr unterschiedlichen Verhältnissen, sind von Vorurteilen und Diskriminierung unterschiedlich betroffen. Das ist die große Herausforderung für alle Einrichtungen.
Sandra Hörner, freie Mitarbeiterin bei der Fachstelle Kinderwelten für Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung

Sandra Hörner ist Pädagogin und freie Mitarbeiterin bei der Fachstelle Kinderwelten. Diese steht für den Ansatz der vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung in Kitas und Schulen, ein inklusives Praxiskonzept. Und genau das ist auch das Thema des Inputs.

Welche Wirkungen haben diese Diskriminierungserfahrungen auf den Bildungsprozess, insbesondere von jungen Kindern? Wie können Einrichtungen die Zusammenarbeit mit Familien vorurteilsbewusst gestalten? Sandra Hörner rät den Kinder- und Familienzentren hierzu, bewusster hinzuschauen, um Barrieren besser zu erkennen. Die Kinder und ihre Familien leben in sehr unterschiedlichen Verhältnissen und sind dementsprechend von Vorurteilen und Diskriminierung unterschiedlich betroffen.

Ein weiterer Schlüssel zu vorurteilsbewusstem Handeln in Kitas, KiFaZen und Schulen ist eine inklusive Grundhaltung, basierend auf der Idee der Inklusion. Diese bezieht sich nicht nur auf die gemeinsame Bildung von Kindern mit und ohne Behinderung, sondern zielt umfassend auf die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit ab.

Familienkultur ins Kinder- und Familienzentrum mitbringen

Dabei beschäftigt sich der Ansatz der vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung vor allem mit Fragen von Diskriminierung, Ausgrenzung und Vielfalt in all ihren Facetten. Es ist wichtig, vorhandene Unterschiede zu berücksichtigen und zum Thema zu machen, ohne dabei Kinder und ihre Familien zu stigmatisieren. Denn jede Familie hat ihre eigene Familienkultur, die sich zusammensetzt aus vielen Puzzleteilen: Gewohnheiten, Sprachen, Erfahrungen, Werten, ihrer Religion, ihrer Art, Beziehungen zu pflegen oder die Freizeit zu verbringen. Wenn Kinder diese Familienkultur ins Kinder- und Familienzentrum mitbringen können, finden sie hier einen Anker für weitere Lernprozesse. Ein praktischer Ansatz ist zum Beispiel, dass die Eltern die Geschichte und Herkunft vom Namen des Kindes aufschreiben und diese Briefe veröffentlicht werden.

Kind malt
Bild: Aaron Burden (Unsplash)

Gleich ist nicht gleich gerecht

Auf dem Weg zu einer vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung gehört ebenso eine Bewusstheit darüber, dass alle Kinder mit unterschiedlichen Voraussetzungen in die Einrichtung kommen. Nicht alle Kinder profitieren gleichermaßen von den Angeboten, die es in den Einrichtungen gibt. Die Angebote müssen immer wieder darauf ausgerichtet werden, dass alle erreicht werden können. Manche Kinder benötigen weiterführende Angebote, denn alle gleich zu behandeln, bedeutet nicht gerecht zu sein. Es geht darum zu schauen, was braucht jede und jeder Einzelne. Dabei gilt es gleichermaßen darauf zu achten, Kinder nicht zu „etikettieren“, also sie aufgrund von weiterführenden Bedarfen von anderen Kindern abzugrenzen.

Jede und jeder hat Vorurteile

Gänzlich vorurteilsfrei zu sein, ist nicht möglich. Es geht vielmehr um eine fachliche Verantwortung, sich der eigenen Vorurteile bewusst zu sein, damit niemand ausgegrenzt wird.

Um eine vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung umzusetzen, muss sich die gesamte Organisation auf einer persönlich-fachlichen Ebene mit Vorurteilen, Einseitigkeiten und deren Folgen auseinandersetzen. Dabei gilt es, die Unterschiede zwischen Menschen zu erkennen, sachlich korrekt und respektvoll zu benennen und sie als gleichwürdig anzuerkennen.

Ziele des Ansatzes der vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung

  •  Ich- und Bezugsgruppen-Identitäten stärken. Du gehörst dazu. Du bist genauso wie du bist richtig.
  • Vielfalt respektieren // Erfahrungen mit Vielfalt ermöglichen
  • Kritisches Denken über Ungerechtigkeiten und Diskriminierung anregen.
  • Aktiv gegen Diskriminierung zur Wehr setzen und sich gegen Ausgrenzung positionieren

*Sandra Hörner ist freie Mitarbeiterin bei der Fachstelle Kinderwelten für Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung.